Die Möglichkeit, die Schärfentiefe exakt zu bestimmen, ist der große Kreativvorteil von DSLRs und Systemkameras. Wie Sie dies bei der Gestaltung Ihrer Fotos nutzen können, zeigen wir Ihnen in diesem Artikel.
Viele Fotografen, die zuvor nur mit Kompaktkameras unterwegs waren, entscheiden sich irgendwann für den Kauf einer DSLR oder einer Systemkamera, wenn das Bedürfnis besteht, sich intensiver mit dem Hobby Fotografie auseinanderzusetzen. Würde man bei diesen Umsteigern nach ihren Beweggründen für den Systemwechsel fragen, dürfte die Antwort wohl fast immer identisch ausfallen: „Ich will endlich einmal mit einer richtig guten Kamera fotografieren!“ Wenn die Anwender dann erstmals ihre neue Kamera in Aktion erleben, ist die Überraschung groß: Nachdem man das Motiv anvisiert hat, stellt die Kamera innerhalb von Sekundenbruchteilen scharf und löst aus. Während die DSLR so schon zwei Fotos gemacht hat, würde der Autofokus der Kompaktkamera sich erst langsam und geräuschvoll mal bequemen, nach Objekten für die Schärfemessung zu suchen.
Wie kann man den Schärfebereich gezielt setzen?
Geschwindigkeit und die durch den größeren Bildsensor und (je nach Objektiv) höherwertigen Objektive bessere Bildqualität sind natürlich entscheidende Vorteile einer DSLR und einer Systemkamera. Mindestens genauso wichtig ist aber ein Vorteil, den vor allem Einsteiger anfangs nicht einmal bemerken: Man ist mit einer Kamera mit Wechselobjektiv in der Lage, Schärfe als gestalterisches Mittel einzusetzen. Das typische Foto, das einem beim Thema gewollte Unschärfe als erstes in den Sinn kommt, ist die Porträtaufnahme. Im Vordergrund befindet sich das scharf gestellte Model, während der Hintergrund unscharf ist. Wetten, dass solch ein Foto aus einer Urlaubsbildersammlung herausstechen würde und der Betrachter dies als schön und professionell loben würde. Mit den meisten Kompaktkameras sind solche Aufnahmen entweder gar nicht, oder nur mit kleinen Tricks machbar. Mit einer DSLR hingegen können Sie, etwas Übung und Hintergrundwissen vorausgesetzt, sehr exakt bestimmen, welche Bildbereiche gestochen scharf und welche unscharf erscheinen sollen.
Warum wirken Bilder mit unscharfen Bereichen professioneller?
Warum aber empfinden wir Fotos mit unscharfem Hintergrund oder stattdessen unscharfem Vordergrund als gelungen, als professionell wirkend? Zum einen natürlich, weil sie ungewöhnlich sind, da typische Urlaubsbilder meist eine einheitliche Gesamtschärfe aufweisen. Das ist aber nicht der einzige Grund. Der Blick des Betrachters wird bei Scharf-Unscharf-Fotos, in der Fachsprache nennt man dies Aufnahmen mit selektiver Schärfe beziehungsweise Unschärfe, automatisch auf die scharfen Bereiche gelenkt. Bei einem Porträt also entsprechend direkt auf das Gesicht des Models. Der unscharfe Hintergrund, im Fotografenjargon Bokeh genannt, lenkt den Betrachter nicht durch sichtbare Details ab. Diese automatische Fokussierung auf das Gesicht entspricht unseren natürlichen Sehgewohnheiten. Machen Sie einmal selbst für sich den Test: Blicken Sie jemandem direkt ins Gesicht und kontrollieren Sie ihr peripheres Sehen. Alles abseits des Gesichts nehmen Sie unscharf wahr, weil Ihre Augen nicht darauf fokussiert sind.

Bei Porträts ist ein unscharfer Hintergrund meist wünschenswert, um das Hauptaugenmerk auf das Model zu richten Foto: JoeEsco / photocase.com
Kann man auch in der Vollautomatik kreativ fotografieren?
Wer mit seiner DSLR oder Systemkamera bislang noch nie mit selektiver Schärfe experimentiert hat, kann dies mit ganz einfachen Mitteln nachholen – sogar in der Vollautomatik. Suchen Sie sich draußen bei Tageslicht ein Motiv mit mehreren Details im Bild, die eine unterschiedliche Entfernung zum Objektiv aufweisen. Wählen Sie möglichst lange Brennweite. Möglich ist alles ungefähr ab der Normalbrennweite, auf keinen Fall aber eine Weitwinkelbrennweite. Blicken Sie nun durch den Sucher und richten Sie das mittige Messfeld des Autofokus auf ein Detail im Bild und drücken Sie den Auslöser halb durch. Schwenken Sie Ihre Kamera anschließend zurück zu Ihrem gewünschten Bildausschnitt und drücken Sie den Auslöser durch. Die Kamera verwendet für das Foto die von Ihnen gespeicherte Schärfeinformation. Wiederholen Sie diesen Vorgang mit einem anderen Detail im Motiv. Sie werden feststellen: Ganz einfach haben Sie auf diesem Weg Ihre ersten Fotos mit unterschiedlichen Schärfebereichen erstellt!
Welchen Einfluss hat die Brennweite auf die Schärfentiefe?
Wer selektive Schärfe für seine Fotos gestalterisch nutzen will, braucht allerdings noch einige weitere, wichtige Informationen zur Schärfentiefe bei Digitalkameras. Diese Schärfentiefe, den scharfen Bereich eines Bildes, können Sie bei Ihrer DSLR zwar bestimmen, jedoch ist Ihr Spielraum von einigen Faktoren abhängig. So müssen Sie sich vergegenwärtigen, dass die Schärfentiefe mit Verlängerung der Brennweite immer kleiner wird – zumindest dann, wenn Sie den Abstand zum Motiv nicht verändern. Sprich: Im Weitwinkel können Sie keine Porträts mit unscharfem Hintergrund erzielen, während bei 200 mm eventuell nicht einmal das komplette Gesicht des Models scharf abgebildet würde. Perfekt für Porträts mit unscharfem Hintergrund gilt eine Brennweite von 85 mm bezogen auf das Vollformat. Bei Kameras mit Crop-Sensoren müssen entsprechend kürzere Brennweiten eingestellt werden.
Mit welchen Blendenwerten kann man mit selektiver Schärfe fotografieren?
Viel kann man im vollautomatischen Modus einer DSLR nicht manuell einstellen: die Brennweite aber natürlich schon. Trotzdem ist dieser Modus für das Fotografieren mit selektiver Schärfe eigentlich ungeeignet, denn genauso wichtig für die Schärfentiefe ist neben der Brennweite die eingestellte Blende. Und hier gilt der simple Grundsatz: Bei identischer Brennweite liefern große Blendenöffnungen, also kleine Blendenwerte, die geringste Schärfentiefe. Ein Porträt mit unscharfem Hintergrund würde Ihnen also zum Beispiel mit einem Wert von 2,8 oder 3,5 gelingen, nicht aber mit Blende 16. Anders herum: Wollen Sie eine weitläufige Landschaft mit großer Schärfentiefe abbilden wollen, nehmen Sie hier eine kleine Blendenöffnung, also einen großen Blendenwert. Wer mit der Schärfentiefe weitergehend experimentieren will, sollte den Modus Blendenvorwahl, auch Zeitautomatik genannt, auswählen. Hier stellt die Kamera automatisch zu der von Ihnen vorausgesuchten Blende die passende Verschlusszeit ein.
Wofür kann die selektive Schärfe beim Fotografieren eingesetzt werden?
Warum aber ist die Erfahrung mit dem Umgang mit selektiver Schärfe so wichtig? Sie entscheidet darüber, welche Bildbereiche akzentuiert werden sollen. So wird kreatives Fotografieren überhaupt erst möglich! So wird die Schärfentiefe zum Beispiel auch dafür genutzt, ein Bild in mehrere Ebenen zu teilen. Scharfes Detail im Vordergrund, unscharfer Hintergrund – oder umgekehrt. Je nachdem, wie stark dieses Mittel eingesetzt wird, dient es auch als Mittel, um ein Foto in mehrere Bildebenen zu unterteilen. Bei Aufnahmen mit Normalbrennweite wirkt die selektive Schärfe bei Landschafsaufnahmen zum Beispiel so, dass der Betrachter die Illusion von räumlicher Tiefe bekommt. Bei Fotos mit Telebrennweite hingegen wird der Blick ausschließlich auf den Schärfebereich fokussiert, da die Perspektive enorm verdichtet ist. Abstände zwischen Vorder- und Hintergrund lassen sich räumlich nicht abschätzen.
Was versteht man unter Bildebenen?
Mit Bildebenen arbeiten Fotografen immer dann, wenn ein Bild räumliche Tiefe bekommen soll. Dabei wählt man beispielsweise bei Landschaftsaufnahmen bewusst eine Perspektive, bei der auch im Vordergrund ein Detail zu sehen ist, beispielsweise Bäume oder Sträucher, eine Parkbank oder ähnliches. Auch bei Aufnahmen mit hoher Schärfentiefe entsteht so ein räumlicher Eindruck, wohingegen Landschaftsaufnahmen im Weitwinkel, bei denen auf diese Technik verzichtet wird, oft eindimensional und langweilig wirken. Mit Details im Vordergrund würde eine zweite Bildebene geschaffen – und das Foto lebendiger und dynamischer.

Zwei ähnliche Motive, bei dem das eine Bild aufgrund des Strauchs im Vordergrund eine zweite Bildebene bekommen hat