Die Normalperspektive ist ungeschriebener Standard in der Fotografie. Obwohl es den wenigsten bewusst sein dürfte, wählen wir diese Perspektive bei über 90 Prozent unserer Fotos. Was die Normalperspektive ausmacht, warum sie sich zum Standard entwickelt hat und wie man sie fotografisch einsetzen sollte, zeigen wir in diesem Artikel.
Die Normalperspektive. Dadurch, dass sie sich zum Standard in der Fotografier gemausert hat, gilt sie bei vielen kreativen Fotografen als wenig innovativ und langweilig. Doch wird man der Perspektive mit diesem harten Urteil wirklich gerecht? Was dagegen spricht: Wenn sie so häufig eingesetzt wird, muss sie Fotografen und Betrachtern doch wohl irgendwie gefallen, schließlich wird niemand gezwungen, diese Perspektive zu wählen. Bevor wir uns aber der Frage nähern, wo die Stärken und Schwächen liegen, gilt es zunächst einmal den Begriff Normalperspektive zu definieren.
Was ist die Normalperspektive?
Die Definition der Normalperspektive ist eigentlich ganz simpel. Dabei fotografiert man stehend mit dem Sucher vor dem Auge und hält dabei die Kamera gerade. Das Foto entspricht somit unserem natürlichen Eindruck der Umgebung. Die bezieht sich vor allem auf die Proportionalität der Aufnahme. Sprich: Boden und Horizont weisen jeweils einen Bildanteil auf, den wir auch mit dem menschlichen Auge so wahrnehmen würden. Die Normalperspektive ist also bestens dafür geeignet, seine Umgebung so wiederzugeben, wie wir sie auch wahrnehmen. Unverfälscht und realistisch. Ob das allerdings der entscheidende Grund dafür ist, dass die Perspektive so beliebt ist, darf man getrost bezweifeln. Deutlich wahrscheinlicher ist die Annahme, dass vor allem die Bequemlichkeit der Fotografen einen entscheidenden Teil dazu beiträgt. Die Normalperspektive ist schließlich für den Fotografen mit keinerlei Aufwand verbunden. Kamera herausnehmen, im Stehen durch den Sucher oder via Live-View das Motiv anvisieren und anschließend auslösen. Das geht deutlich schneller und ist bequemer, als in die Hocke zu gehen, eine erhöhte Position zu suchen, oder sich gar auf den Boden zu legen. Dies dürfte die Antwort sein, dass vor allem Urlaubsfotos von Gelegenheitsfotografen fast ausschließlich in dieser Perspektive aufgenommen werden.

Hier wurde fast auf Bodenhöhe fotografiert. Der steinige Weg scheint so in die Unendlichkeit zu führen Foto: Dominik Heggemann / pixelio.de
Wie wirkt die Normalperspektive?
Die Normalperspektive als Perspektive für faule Hobbyknipser zu bezeichnen, geht dann allerdings doch etwas zu weit. Tatsächlich nämlich wird sie auch von Profifotografen gerne genutzt. Nur nicht aus dem Grund, weil sie am einfachsten umzusetzen ist, sondern weil sie viele Vorteile bietet – wenn man sie bewusst auswählt! Für Porträts ist sie beispielsweise perfekt geeignet, weil durch das Fotografieren auf Augenhöhe ein angenehmer Blickwinkel entsteht. Fotografiert man aus einer erhöhten Position, wirkt das Model hingegen dem Fotografen gegenüber unterlegen. So kann der Eindruck einer gewissen Unterwürfigkeit entstehen. Das komplette Gegenteil erzielt man durch eine Untersicht – wenn der Fotograf sich unterhalb der Augenpartie befindet und bei der Aufnahme nach oben schwenkt. Dann nämlich wirken Porträtierte schnell arrogant und überheblich. Wenn Fotografen solch einen Ausdruck erreichen wollen, wählen sie diese Perspektiven mit Bedacht. Soll das Model hingegen einfach nur natürlich und freundlich erscheinen, ist die Normalperspektive die beste Wahl.
Kann man mit der Perspektivwahl das Bild manipulieren?
Nicht nur in der Porträt-, sondern auch in der Landschaftsfotografie ist die Normalperspektive sehr beliebt. Hierbei kommt es allerdings nicht nur darauf an, stehend in Augenhöhe zu fotografieren, sondern bei seinen Aufnahmen nicht nach oben oder unten zu schwenken. Für einen natürlichen Eindruck eines Landschaftsbildes ist es schließlich wichtig, dass die Proportionen auf dem Bild denen in der Realität entsprechen. Sobald man mit seiner Kamera aber nach oben oder unten schwenkt, verändern sich diese Proportionen. Schwenks nach unten bei weitläufigen Landschaftsfotos lassen diese kleiner erscheinen, als sie eigentlich sind. Leichte Schwenks nach oben in Kombination mit einer niedrigeren Aufnahmeposition, führen hingegen dazu, dass Landschaften weitläufiger wirken, als sie eigentlich sind. Der Horizont, der als natürliche Begrenzung für den Betrachter des Bildes dient, ist nach oben verschoben. Genau das verstärkt diesen Eindruck. Wer sich dieses Prinzip einmal vor Augen führen will, muss nur einmal einen Reiseprospekt aufschlagen und sich die Bilder der Hotelpools anschauen. Hier perfektionieren die Fotografen den Effekt dieser Perspektive und lassen jeden noch so winzigen Pool riesig groß erscheinen!

Durch die Aufnahmeposition lassen sich Größenverhältnisse gezielt manipulieren. Dies machen sich Fotografen z.B. bei Werbefotos zunutze
Was versteht man unter dem Begriff „Normalbrennweite“?
Wer als Fotograf die Normalperspektive bewusst wählt, um natürlich wirkende Aufnahmen zu kreieren, darf nicht vergessen, auch die passende Brennweite dafür zu nutzen. Passenderweise wählt man hierfür eine Brennweite, die auch als Normalbrennweite bekannt ist. Konkret versteht man darunter einen Wert um die 50 mm – bezogen auf Vollformatkameras. Fotografen, die mit kleineren Sensoren fotografieren, müssen eine entsprechend kürzere Brennweite einstellen. Bei APS-C beispielsweise beträgt die Normalbrennweite zirka 30 mm. Doch was macht diese Brennweite eigentlich zur Normalbrennweite? Auch hier wieder gilt unser natürliches Sehen als Maßstab. Der Bildwinkel, der durch diese Brennweite entsteht, soll dem menschlichen Sehempfinden am nächsten kommen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum sich die 50 mm die Bezeichnung „normal“ verdienen. Bei dieser Brennweite nämlich werden die Proportionen der abgebildeten Objekte und deren Entfernungen zueinander nämlich korrekt wiedergegeben und nicht verfälscht. Fotografieren Sie hingegen mit einer Telebrennweite, wird das komplette Motiv verdichtet. Entfernungen zwischen Objekten auf dem Bild werden kleiner dargestellt als sie eigentlich sind. Den gegenteiligen Effekt erzielt man mit einer Weitwinkelbrennweite. Dann nämlich erscheinen Abstände größer als in der Realität. Das komplette Motiv wirkt weitläufiger.

Auch das ist ein Beispiel für die Normalperspektive – auch für Kreativfotos lässt sie sich also problemlos nutzen Foto: segovax / pixelio.de
Sind Fotos in der Normalperspektive langweilig?
Dass Fotos in der Normalperspektive zwar harmonisch sind, gleichzeitig aber zwangsläufig auch etwas langweilig daherkommen, ist im Übrigen so natürlich nicht richtig. Denn auch wenn der Fotograf bewusst auf Kameraschwenks nach oben oder unten verzichtet und mit der Kamera auf Augenhöhe fotografiert, heißt dies schließlich nicht, dass er sich damit sämtliche künstlerische Freiheiten nimmt. Auch mit diesen Vorgaben haben Sie schließlich noch die Möglichkeit, die Bildgestaltung durch die Wahl Ihres Aufnahmestandorts gezielt zu beeinflussen. Auch wenn die Normalperspektive häufig eingesetzt wird, wenn man ein Motiv sieht und einfach mal abdrückt, muss dies schließlich nicht zwangsläufig immer so gehandhabt werden. Wenn Sie ein attraktives Motiv vor sich haben, sollten Sie stattdessen sich erst einmal in Ihrer Umgebung umschauen. Welcher Standort könnte eine interessante Perspektivvariante bieten? Wie lassen sich Linien und Formen in das Bild einbinden? Auch die Normalperspektive bietet unzählige Gestaltungsmöglichkeiten – die man aber auch nutzen muss!
Interessant. Auch für mich als Hobbyfotograf. Was sind denn die Alternativen zur „Normalperspektive“? Und wann setzt man diese ein?