Fragt man Hobbyfotografen nach den Objektiven, die zu ihrer Ausrüstung zählen, gehören Tilt-Shift-Objektive so gut wie nie dazu. Kein Wunder, schließlich kosten die Spezialobjektive ein kleines Vermögen. Wir zeigen, was sie so besonders macht.
Tilt-Shift? Diese Begrifflichkeit kennen viele vor allem wegen des Tilt-Shift-Effekts – der Miniaturoptik, die man seinen Bildern mit diesen Objektiven oder via Software verpassen kann. Wie das funktioniert, darauf gehen wir noch im späteren Verlauf dieses Artikels ein. Tatsächlich ist die Miniaturoptik aber nur eine Randerscheinung und keinesfalls das entscheidende Aufgabengebiet, das Tilt-Shift-Objektiven zufällt. Tilt-Shift-Objektive werden hauptsächlich in der Architekturfotografie angewendet, wenn es dem Fotografen auf eine hohe Abbildungsqualität und Aufnahmen ohne perspektivische Verzerrungen ankommt. Diese perspektivischen Verzerrungen zeigen sich bei Gebäudefotos in Form von stürzenden Linien. Und zwar entsteht das Phänomen, wenn man Gebäude mit einem herkömmlichen Objektiv fotografiert und dabei die Kamera nach oben schwenkt. Für die Kamera entsteht dadurch ein Problem, denn sie nutzt das Prinzip der Zentralprojektion, um aus dem realen dreidimensionalen Bild ein zweidimensionales Bild zu machen. Horizontale Linien werden bei solchen Motiven korrekt dargestellt, vertikale Linien wie Gebäudekanten oder Verstrebungen, die eigentlich parallel verlaufen, scheinen auf den Fotos hingegen auf einen Fluchtpunkt zuzulaufen. Diesen Effekt nennt man in der Fotografie „stürzende Linien“. Der Eindruck der stürzenden Linien verstärkt sich, je mehr man die Kamera schwenkt und je höher das Gebäude ist. Fotografisch lässt sich dieser Bildfehler mit einem Standardobjektiv nur beheben, indem man auf Kameraschwenks verzichtet.
Wofür setzt man ein Tilt-Shift-Objektiv ein?
Um den Effekt zu vermeiden, wenn man auf Kameraschwenks nicht verzichten kann oder will, hilft nur der Einsatz eines Tilt-Shift-Objektivs. Mit einem Tilt-Shift-Objektiv werden perspektivische Verzerrungen bei Kameraschwenks vermieden. Tilt steht für „verschwenken“ und Shift für „verschieben“. Mit diesen beiden Funktionen wird das Linsensystem gegenüber der Filmebene verändert. Das Objektiv befindet sich dann nicht mehr in der ursprünglichen Position vor dem Kamerabody. Ein Tilt-Shift-Objektiv hat in der Praxis leider einen kleinen Haken. Es ist mit Anschaffungskosten von 2.000 Euro und mehr alles andere als ein Schnäppchen und somit eigentlich nur für professionelle Architekturfotografen eine sinnvolle Investition. Dabei wird man den Objektiven allerdings nicht gerecht, wenn man sie auf das Beheben von perspektivischen Fehlern reduziert. Tatsächlich nämlich können sie auch durch einige interessante Kreativfunktionen punkten: Beim Verschwenken lässt sich nämlich die Schärfe-Ebene selektiv verlagern – dies wird auch für den Miniatureffekt genutzt. Unabhängig davon jedoch können Sie den Schärfe-Unschärfebereich noch viel gezielter steuern als mit allen anderen Objektivarten. Dabei ist die Abbildungsqualität auch in den Randbereichen extrem hoch.
Wie teuer sind Tilt-Shift-Objektive?
Tilt-Shift-Objektive finden Sie hierzulande von den Herstellern Schneider-Kreuznach, Canon und Nikon. Die Objektive sind systembedingt als Festbrennweiten ausgelegt. Bei Canon etwa werden vom 17 mm-Weitwinkel, über 24 mm und 45 mm bis hin zum 90 mm-Tele unterschiedliche Brennweiten abgedeckt. Das 45 mm-Objektiv ist mit rund 1.300 Euro das günstigste Modell, während man für das 17 mm-Weitwinkel schon rund 2.600 Euro einplanen muss. Bei solchen Preisen ist klar, dass nur professionelle und enthusiastische Hobby-Fotografen mit großem Budget zuschlagen. Ein Tilt-Shift-Objektiv lässt sich natürlich nicht nur für Architekturfotos nutzen, sondern auch für alle anderen fotografischen Bereiche. Vor allem in der Produkt- und in Landschaftsfotografie werden die Spezialisten häufig eingesetzt. Sie als Standardobjektiv einzusetzen, macht allerdings nur wenig Sinn, da das Fotografieren hiermit schon deutlich aufwändiger ist als mit einer gewöhnlichen Festbrennweite.
Was bedeutet „Miniatureffekt“?
Beim Tilt-Shift-, auch Miniatureffekt wird mit der gezielten Steuerung von Unschärfe und Schärfe gespielt. Hierbei wird ein zentraler Streifen oder ein Kreis im Bild scharf abgebildet, während die Bildränder ins Unscharfe laufen. Bei Fotos, auf denen von einer erhöhten Position nach unten fotografiert wird, führt dies zu einer Aufnahme, die aussieht, als würde es sich bei dem Motiv um eine Miniaturlandschaft handeln. Wer solch einen Effekt selbst einmal ausprobieren möchte, benötigt dafür aber kein Tilt-Shift-Objektiv. Dies lässt sich einfach per Software nachträglich simulieren, wie wir Ihnen im Workshop in dieser Lektion demonstrieren werden. Bevor Sie allerdings loslegen, gilt es, ein passendes Bild für die Umwandlung auszuwählen – nicht jedes Foto ist nämlich geeignet. Suchen Sie sich möglichst ein Foto, das von einem erhöhten Standort nach unten hin aufgenommen wurde und das viele kleine Details wie Menschen oder Autos zeigt, zum Beispiel einen Platz oder eine befahrene Straße oder auch Gleise von einer Brücke.
Gibt es günstige Tilt-Shift-Objektive?
Ähnliche Möglichkeiten mit der Schärfe und Unschärfe zu spielen wie teure Tilt-Shift-Objektive bieten die Kreativobjektive von Lensbaby (http://lensbaby.de). Die Tilt-Objektive von Lensbaby kosten mit rund 300 bis 400 Euro nur ein Bruchteil dessen, was „echte“ Objektive kosten. Die Bedienung der Lensbabys ist etwas gewöhnungsbedürftig, denn hier müssen Sie alles per Hand erledigen. Nehmen wir als Beispiel das Modell „Composer Pro“. Zum Scharfstellen der Bildmitte richten Sie das Composer Pro geradeaus und drehen am Fokussierring. Indem Sie das bewegliche Objektiv kippen, verändern Sie die Scharfstellung, indem Sie den so genannten „Sweet Spot“ – den Schärfebereich – verschieben. Mithilfe des Fokussierrings können Sie anschließend die Schärfe einstellen und Ihre Auswahl arretieren. Für das Fotografieren ist somit echtes Fingerspitzengefühl gefragt! Kreative Fotos mit ungewöhnlichen Schärfe- und Unschärfekombinationen werden mit den Lensbaby-Objektiven jedenfalls definitiv möglich – mit etwas Übung wohlgemerkt. Stürzende Linien bei Architekturfotos wird man damit jedoch nicht verhindern können.

Wem es nur um das „Tilt“ geht, kommt mit diesem Composer Pro von Lensbaby günstiger weg Foto: Lensbaby
Kann man den Effekt per Software simulieren?
Auch ohne ein Tilt-Shift-Objektiv müssen Sie auf das Schwenken bei Gebäudefotos nicht zwangsläufig verzichten, denn das Phänomen der stürzenden Linien lässt sich auch nachträglich per Bildbearbeitung beheben. Ein entsprechendes Werkzeug bietet unter anderem Photoshop von Adobe, sowie der kleine Ableger Elements und auch das kostenlose Programm GIMP. Sie finden die entsprechenden Werkzeuge meist im Bereich „Perspektivkorrektur“. Auf eine Einschränkung muss aber in punkto Softwarekorrektur hingewiesen werden. Die Ergebnisse sind nicht vergleichbar mit denen, bei denen bereits die Original-Bildinformationen von den Verzerrungen befreit sind.
Quelle Einstiegsbild: Arnd_Drifte / photocase.com