„Fotografiere nie ein Haus, es sei denn, du willst es verkaufen!“ Ob dieser Spruch tatsächlich einer alten Fotografenweisheit entspringt, lässt sich wohl nicht mehr klären. Fest steht aber: Die Architekturfotografie hält viele Tücken bereit und hat mit „Sehenswürdigkeiten anvisieren und Auslöser drücken“ rein gar nichts zu tun.
Haben Sie das auch schon einmal beobachtet? Vielleicht sogar bei sich selbst? Es ist so ein bisschen wie bei den Lemmingen. Wenn man bei einem Städtetrip an einer Sehenswürdigkeit vorbeikommt, sieht man auf den Plätzen davor wahre Heerschaden von Touristen mit gezückten Digitalkameras. Auf dem Monitor kontrollieren, ob man das komplette Gebäude auf das Bild bekommt, und dann den Auslöser drücken. Wie von Geisterhand gesteuert, holt man in solchen Situationen dann auch selbst seine Kamera heraus und schickt sich an, das obligatorische Beweisfoto „Ich war hier“ zu schießen. Professionelle Architekturfotografen rümpfen in Anbetracht des Treibens bei solchen so genannten „Tourist-Spots“ nur abfällig die Nase, denn für gelungene Gebäudeaufnahmen muss man sich schon etwas mehr Mühe geben! Die „Profis“ erkennt man daran, dass sie durchaus auch auf dem Rücken liegend“ Türme ablichten oder irgendwo herum klettern, weil die Perspektive sonst einfach nicht stimmig ist oder das Gebäude nicht wirkt.
Keine Frontalfotos
Einer der häufigsten Fehler bei der Architekturfotografie ist tatsächlich der Standort des Fotografen. Viele stellen sich frontal vor die Hauptansicht eines Gebäudes, um es abzulichten. Bei solchen Frontalansichten ist das Ergebnis aber sehr eindimensional. Ein Haus hat keine Tiefe, es wirkt wie eine Fassadenkulisse. Sinnvoll kann solch eine Aufnahmeposition nur in dem Fall sein, wenn die Größe eines Gebäudes dokumentiert werden soll. In der Froschperspektive einen Wolkenkratzer hinauf zu fotografieren, kann so durchaus einen Reiz haben. Allerdings muss man hier das Problem der perspektivischen Verzerrung beachten – hierzu erfahren Sie im Laufe des Textes noch Ausführlicheres. In der Regel ist es aber empfehlenswert, ein Gebäude im Anschnitt zu fotografieren, um ihm so die nötige Tiefe zu verleihen. Eine Schrägsicht auf das Objekt ist deshalb in den meisten Fällen die beste Wahl.
Die Schokoladenseite finden
Fragt man professionelle Architekturfotografen nach ihren besten Tricks, bekommt man fast immer die gleiche Antwort: Der Fotograf sollte sich Zeit lassen. So ist die Wahl der richtigen Blende und Belichtungszeit eher zweitrangig – entscheidend ist, die Schokoladenansicht eines Gebäudes zu finden, ganz unabhängig von der späteren technischen Umsetzung des Fotos. Der Fotograf sollte sich immer die Frage stellen, was ihn selbst an dem Gebäude fasziniert. Was ist das Außergewöhnliche an dem Motiv und wie lässt sich dieses Außergewöhnliche auf eine zweidimensionale Aufnahme transportieren? Ein Beispiel: Eine durchschnittliche Kirche im gotischen Baustil ist für sich betrachtet nicht unbedingt ein fotografisches „Must have“. Befindet sich exakt diese Kirche jedoch inmitten einer Landschaft aus modernen Wolkenkratzern, ist genau das außergewöhnlich – und dieser Gegensatz sollte dann auch abgebildet werden.
In die Umgebung einbetten
Grundsätzlich fährt man meistens gut mit der Vorgabe, das Objekt, das man ablichten will, in die Umgebung einzubetten. Dabei reicht es schon, einen Baum mit in den Bildausschnitt zu nehmen, um der Aufnahme eine weitere Tiefenebene hinzuzufügen. Es kann sich dabei um Flüsse oder Wiesen handeln – entscheidend ist, das Haus in seiner natürlichen Umgebung zu belassen. Architekturfotografie ist natürlich deutlich mehr als das rein technische Fotografieren, wie es beispielsweise für Immobilienmakler wichtig ist. Während es hier darauf ankommt, korrekt abzubilden, Maße aufzuzeigen, einen Schnitt zu übermitteln und auf alle Details Wert zu legen, hat man in der künstlerischen Architekturfotografie deutlich mehr Gestaltungsspielraum – so zum Beispiel die Möglichkeit, die üblicherweise verwendete Totale eines Bauwerks zu verlassen.
Die Blaue Stunde nutzen
Nicht jede Tageszeit ist für die Architekturfotografen eine gute Zeit- zumindest, wenn sich die Sonne blicken lässt. Mittags sollte man möglichst nicht die schönsten und wichtigsten Bauwerke fotografieren, denn die hochstehende Sonne wirft zum einen lange und harte Schatten und sorgt zudem für ein „hartes“ Licht. Besser geeignet ist da der Morgen oder auch der Abend. Wenn Sie die Sonne im Rücken haben, ist das Beleuchtungsszenario ideal. Für Frühaufsteher ist auch die so genannte „Blaue Stunde“, die eine Zeitspanne von rund 15 bis 60 Minuten vor dem Sonnenaufgang beschreibt, eine gute Zeit, um auf Fototour zu gehen. In dieser Zeit ist der Himmel – wenn wolkenlos – tiefblau und ohne sichtbare Sonneneinstrahlung. Dies sorgt für sehr atmosphärische Bilder. Wem das Frühaufstehen nicht so liegt, der kann durchaus auch auf den Sonnenuntergang warten. Da gibt sich die „Blaue Stunde“ zum zweiten Mal die Ehre.
Schiefe Gebäude
Ist Ihnen auch schon einmal aufgefallen, dass viele Architekturaufnahmen irgendwie schief wirken? Häuser scheinen auf den Bildern nach hinten zu kippen, die Proportionen wirken falsch. Der Grund dafür liegt in den Optiken der Kameras. Üblicherweise fotografieren wir Gebäude von unten nach oben – logischerweise, denn wir befinden uns auf ebenerdiger Höhe und blicken nach oben und schwenken dementsprechend die Kamera. Für die Kamera entsteht dadurch aber ein Problem, denn sie nutzt das Prinzip der Zentralprojektion, um aus dem realen dreidimensionalen Bild ein zweidimensionales Bild zu machen. Horizontale Linien werden korrekt dargestellt, vertikale Linien wie Gebäudekanten oder Verstrebungen, die eigentlich parallel verlaufen, scheinen hingegen auf einen Fluchtpunkt hinzulaufen. Diesen Effekt nennt man in der Fotografie „Stürzende Linien“ – üblicherweise ein eher unschöner Effekt, der dafür sorgt, dass der Bildbetrachter immer den Eindruck hat, ein Gebäude würde in sich zusammensacken oder nach hinten kippen. In Einzelfällen kann das aber auch gewollt sein; einen Mast oder schmalen Turm kann man so perspektivisch massiv überzeichnen. Übrigens: Je mehr man die Kamera schwenkt und je höher das Gebäude ist, desto intensiver wirkt der Effekt.
Stürzende Linien vermeiden
Die Verzerrungen lassen sich aber auch vermeiden. Sie brauchen dafür eine digitale Spiegelreflexkamera und ein so genanntes Tilt & Shift-Objektiv*. Das sorgt dafür, dass verzerrungsfrei von einer Filmebene fotografiert werden kann, indem das Linsensystem verschoben wird. Bei der Aufnahme nimmt man das Motiv jeweils in beide Richtungen „geshiftet“ auf und kombiniert die Aufnahmen dann später zu einem verzerrungsfreien Ergebnis. Die schlechte Nachricht: Solche Objektive kosten oft ein Vielfaches von dem, was selbst ambitionierte Hobbyfotografen für ihr gesamtes Equipment ausgeben. Ein Beispiel: Das PC-E NIKKOR 24 mm / 3,5D ED von Nikon* kostet bei Amazon rund 1.700 Euro. Doch auch als Besitzer einer DSLR ohne Tilt & Shift-Objektiv, einer digitalen Kompaktkamera oder einem Smartphone kann man das Problem der stürzenden Linien beheben. Die eleganteste Möglichkeit ist, einfach von. einer höheren Position zu fotografieren. Wenn bei einer Fotografie das Objektiv gerade gehalten und nicht nach oben oder unten geschwenkt wird, entstehen auch keine stürzenden Linien!
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