Um anspruchsvolle Aktfotos zu schießen, reicht es nicht, sich einfach ein Model zu suchen und drauf los zu knipsen. Nicht ohne Grund gilt der Akt als eine der schwierigsten Stilrichtungen der Fotografie. Walo Thönen, Profifotograf aus der Schweiz, gehört zu den Koryphäen auf diesem Gebiet. Für Sie plaudert er aus dem Nähkästchen.
An das Thema Aktfotografie trauen sich nur wenige ambitionierte Hobbyfotografen heran. Die Hürden scheinen groß zu sein. Gebraucht wird eine teure Studioausrüstung inklusive Beleuchtung, hochwertige Requisiten und nicht zu vergessen professionelle Models. Genug Gründe für viele, die Flinte trotz Interesse schon vorab ins Korn zu werfen. Unnötigerweise, denn mit etwas Kreativität lassen sich auch mit wenigen Mitteln attraktive Arrangements kreieren.
Das zumindest verspricht Walo Thönen (www.fotowalo.ch) aus Caslano in der Schweiz. Der professionelle Fotograf, der sich auf klassischen Akt in Schwarzweiß spezialisiert hat, veranstaltet regelmäßig Aktworkshops für interessierte Hobbyfotografen. Exklusiv verrät er hier Tipps und Tricks, mit denen auch Einsteiger hochwertige Aktaufnahmen erstellen können: „Eigentlich ist die Aktfotografie die einfachste Art der Menschenabbildung. Man braucht sich nicht um Styling, Make-up oder Kleidung zu kümmern. Beim Aktbild braucht man nur ein gute Idee, das spart Zeit und Aufwand. Allerdings: Für kein zweites Thema in der Fotografie gilt mehr, dass der Grat zwischen Kunst und Kitsch, Peinlichkeit und Erfolg sehr schmal ist.“
Doch was entscheidet darüber, ob ein Foto als Kitsch oder plumpe Pornografie angesehen wird oder eben als Kunst? „Der Profi geht bei der Beantwortung solcher Fragen erst einmal einen Schritt zurück: Eine wichtige Voraussetzung ist, unser Auge und die Sensibilität dauernd zu schulen. Der Besuch von Ausstellungen in allen Bereichen der bildenden Kunst gehört dazu. Ein Buch zum Thema zu lesen, Bildbände anzusehen und auch Abstecher in die Geschichte der Fotografie schaden niemandem. Weiterbildung in Form von Workshops und reger Austausch unter Gleichgesinnten bringen nicht nur wertvolle Erfahrungen, sondern machen auch Spaß. Das neidvolle Betrachten von Erfolgen anderer bringt nur Magengeschwüre. Besser ist, solche Bilder als Quelle der Inspiration zu betrachten.“
Vor dem Akt-Shooting
Nach solchem Anschauungsunterricht sollte sich jedoch niemand ein Model schnappen und drauf los knipsen. Wer sich für das Thema Aktfotografie interessiert, sollte sich zunächst einige Fragen stellen. Warum mache ich das Bild? Wie will ich und mit wem und wo meine Ideen umsetzen? Welchen Zweck verfolge ich mit dem Bild? Wo will ich das Foto letztendlich zeigen?
Wer diese Fragen für sich selbst beantwortet, wird merken, dass sich so beinahe von selbst Ansätze zur erfolgreichen Umsetzung der Einfälle ergeben. Die Botschaft, die das Foto schließlich vermitteln will, wird dem Betrachter durch gute Bildführung verständlicher und hilft dem Werk zur besseren Akzeptanz.
Betrachtet man ein Bild, ist der erste Eindruck der entscheidende. Nun hat natürlich jeder seinen individuellen Geschmack, der auch von der Zeitepoche und Umgebung, in der wir leben, geprägt ist. Trotzdem gibt es gewisse Kriterien, die bei den meisten Menschen – auch wenn zum Teil unbewusst – zur Befürwortung oder Ablehnung eines Aktbildes führen.
Der innere Aufbau, die Lichtverteilung, die Gewichtung der Farben und einige weitere Gesetzmäßigkeiten führen beim Betrachter zur Zustimmung oder eben Ablehnung. Schon bei der Wahl des Aufnahmeformats trifft der Fotograf Entscheidungen, über die er sich bewusst sein sollte. Hoch- oder Querformat? Mit der Auswahl wird die Wahrnehmung bereits gesteuert. Hochformatige Bilder werden von uns als aktiv wahrgenommen, mitunter gar als aggressiv empfunden. Das Querformat strahlt hingegen eher Ruhe und Harmonie aus und wirkt leiser. Quadratische Bilder haben eine neutrale Wirkung, wirken noch ruhiger. Hier ist die Flächenverteilung besonders wichtig!
Spielen mit Licht und Schatten
Hat man sich für das Format entschieden, geht es ins Detail. Wie in den meisten Bereichen der ambitionierten Fotografie entscheidet das Spiel zwischen Licht und Schatten zum großen Teil über die Qualität eines Bildes. Die Fotografie ist naturgemäß zweidimensional. Mit geeigneter Licht-Schatten-Aufteilung kann aber durchaus der Eindruck von Tiefe und Volumen entstehen, obwohl es der Fotograf mit der flachen Abbildung eines Objektes – nämlich eines Körpers – zu tun hat.
Bilder mit Tiefe werden vom Betrachter als angenehm empfunden, platte konturlose Fotos hingegen als langweilig. Um eine solche Tiefe hinzubekommen, ist also ein gelungenes Lichtarrangement unerlässlich. „Verschiedene Lichtarten, Formen und unterschiedliche Richtungen der Beleuchtung geben dem Bild erst seinen Inhalt. Es lohnt sich für Fotografen, die sich erstmals mit der Aktfotografie beschäftigen, mit den verschiedenen Wirkungen des Lichts in Ruhe zu experimentieren. So wird man viel sicherer und erkennt, was sich mit der gegebenen Lichtsituation, der Location und dem engagierten Model erreichen lässt. Hier gilt: „Probieren, probieren, probieren“, so Walo Thönen.
Die Wirkung von Licht
Gegenlichtsituationen beispielsweise haben eine eigene Ästhetik. Seitlich einfallende Beleuchtung verhilft dem Körper zu einer größeren Plastizität. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen harter und weicher Beleuchtung. Beide haben in der Aktfotografie eine große Bedeutung. Auch hier sollten Neulinge experimentieren. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Dieser ist für die Bildwirkung unverzichtbar. Normalerweise sollten dunkle Tonwerte im Gesamtbild nicht „absaufen“, genauso wie grelle Tonwerte nicht dominieren sollten.
Doch der Schweizer Fotograf beschwichtigt: „Ein gewisser Anteil von tiefem Schwarz und zeichnungslosem Weiß im Bild ist durchaus zu akzeptieren.“ Es gilt, den Kontrastumfang im Auge zu behalten, gegebenenfalls aufzuhellen oder Licht abzuhalten. Auch ein weiteres wichtiges Element sollte nicht aus den Augen verloren werden: Im Zeitalter der digitalen Bildaufzeichnung hat die Wichtigkeit der Farbtemperatur etwas abgenommen – oder zumindest ihren Schrecken verloren. Ein schneller Blick auf den Monitor, und schon wissen wir, ob Bildinhalt und Farbcharakteristik zusammenpassen.
Die alten Regeln der klassischen Fotografie sind trotzdem noch heute gültig. Ein warmes diffuses Licht, das den Körper umschmeichelt, wird von den meisten Betrachtern als angenehm empfunden. Nicht nur die passende Lichtsituation ist für den Gesamteindruck entscheidend. Eine der ältesten Regeln zur Flächengestaltung ist der goldene Schnitt. Dabei verhält sich der kleinere zum größeren Teil wie dieser zum Ganzen, also etwa 2:3 oder 3:5, 5:8, 8:13 usw.
Für die Aktfotografie bedeutet das: Das Model sollte im Durchschnitt in seinen Proportionen nach dem goldenen Schnitt aufgeteilt sein. Diese Aufteilung wird als besonders harmonisch empfunden. Ebenso wichtig sind die Diagonalen des Bildes. Sie sind die Leitlinien für das Auge. Je nach Kulturkreis wird der Betrachter die Linien als auf- oder absteigend, als himmelwärts strebend oder erdverbunden empfinden.
Das Dreieck entscheidet
Sind die grundsätzlichen Fragen bei den Fotoarrangements beantwortet, steht die eigentlich entscheidende Frage an: Was soll fotografiert werden? Wer nicht den Körper des Modells als Ganzes auf seine Speicherkarte bannen will, entscheidet sich oft für einzelne Körperbereiche. Punktförmige Bildelemente – sofern sie richtig platziert sind – fesseln den Blick des Betrachters. Dabei können sie durchaus auch gewisse Dimensionen erreichen, wie zum Beispiel ein Bauchnabel oder eine Brustwarze.
Falsch im Bild angeordnet sind sie allerdings auch eine Quelle von Unruhe. Das Auge findet keinen Schwerpunkt im Bild. Erst ein weiteres drittes Element kann einen nötigen Ausgleich bringen, wenn es sich mit den anderen Punkten zu einer Linie – oder besser noch zu einem Dreieck – verbindet.
Die Bedeutung des Dreiecks für die Bildgestaltung auch bei der Aktfotografie nicht zu unterschätzen. Praktisch in jedem Bild verbinden sich gesehene oder gedachte Linien zu unzähligen Kombinationen von Dreiecken. In vielen seiner Posen lässt der menschliche Körper Dreiecke entstehen. Man tut gut daran, ihre Lage im Bild ständig zu kontrollieren und je nach gewünschter Bildaussage zu verändern oder anzugleichen.
Die Lage der einzelnen Bildelemente ist ein weiteres Mittel in der Hand des Bildgestalters. Je nach Position – oben oder unten – verändert sich die Bildaussage. Dieser Effekt kann durch bewusstes Einsetzen von hell und dunkel sogar noch verstärkt werden. Sind die Bildelemente dunkel, wirkt das Bild schwer, eventuell gar dramatisch.
Dies wird noch verstärkt, wenn sich helle Bildteile oben befinden. Meist hat man es als Fotograf allerdings nicht nur mit einem Bildelement zu tun: Oft ist es eine Kombination mehrerer Formen. Die geschickte Auswahl und Beschränkung führt dabei erst zu einem erkennbaren Stil
Die Suche nach dem eigenen Stil
In der Aktfotografie finden sich diverse unterschiedliche Stilrichtungen, wie romantische Akte, klassisch realistische, moderne plakative, auch aggressiv in Szene gesetzte Bilder. Dazu kommen Erotik, Fetisch, Akt in der Landschaft und noch viele weitere Unterkategorien.
Wer sich als Neuling kaum entscheiden mag, für den hat Walo Thönen einige Tipps: „Jeder Fotograf sucht sich nach entsprechender Einarbeitung jene Themen aus, die ihn auch außerhalb der bildnerischen Arbeit interessieren. Durch sein grundsätzliches Interesse werden seine Aktbilder intensiver, auch persönlicher. Das hilft auch, schneller einen eigenen Stil zu finden. Dies wiederum führt zur besseren Erkennbarkeit der Fotos in der Öffentlichkeit und dies wieder zur größeren Popularität des Fotografen – zumindest, wenn man das will. Das eben Gesagte sollte aber nicht dazu führen, dass wir nichts Neues ausprobieren sollen und uns anderen Themen verschließen. So wie die Welt sich ständig verändert, bleiben auch wir nicht in unserer Entwicklung stehen. Immer neue Impulse stimulieren unsere Kreativität. Aber: Die auch wichtigen schöpferischen Pausen geben Kraft für neue künstlerische Höhenflüge!“
Aktfotografie in schwarzweiß
In kaum einem anderen Bereich der Fotografie spielen monochrome Bilder eine solch große Rolle wie bei der Aktfotografie. Und das ist auch kein Zufall, denn der Verzicht auf knallige Farben lässt viel Gestaltungspotenzial zu. Schwarzweißfotos leben durch ihre Linienführung, die Flächenverteilung – kurz: durch ihre grafische Wirkung. Die reiche Tonwertskala, die richtige Verteilung und Gewichtung der Grautöne und Kontraste kann zu einem attraktiven Gesamtkunstwerk genutzt werden.

In der Aktfotografie ist schwarzweiß sehr beliebt. So wirken viele Aufnahmen noch stimmungsvoller und dichter.
Oft werden die Schwarzweißfotos durch das Wegfallen der Farbe eher abstrakt und gleichzeitig als realistischer eingestuft als Farbbilder. Monochrome Bilder haben also ihren eigenen Reiz, den sie aus der unterschiedlichen Verteilung von Helligkeit und Sättigung einer Farbe beziehen. Das geschickte Einsetzen von einzelnen Farbtupfern kann die Bildaussage sogar noch erheblich steigern.
Rot bis blau: die Wirkung von Farben
Kommt mit Farbe noch ein weiteres kreatives Gestaltungselement ins Bild, sind weitere Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten von Wichtigkeit. Farbfotos, die die Blicke auf sich ziehen, sind nach solchen bewusst oder unbewusst gestaltet. Farbig heißt aber nicht unbedingt bunt. Besser ist, sich an wenige Farben im Bild zu halten. So steuern Sie gekonnt den Blick des Betrachters und lenken seine Aufmerksamkeit auf wichtige Details.
Wir unterscheiden kalte (z. B. Blau) und warme Farben (z.B. Rot). Diese sind – wie etwa die Unterschiede in der Helligkeit und Sättigung – wichtige Mittel in der Hand des Fotografen. Sie vermitteln Stimmungen und bringen Tiefe ins eigentlich flache Foto. Warme wie helle Farbtöne drängen im Bild nach vorne, kalte oder dunkle sinken nach hinten.
Unterschiedliche Farben benötigen mehr oder weniger Bildanteile im Motiv, um gleichgewichtig zu erscheinen. So benötigt ein helles Rot nur einen kleinen Anteil im Bild, um neben einem dunklen Grün zu bestehen oder sogar zu dominieren.