Sehr gute Fotografen erkennt man daran, dass sie spannende Motive entdecken, die anderen verborgen bleiben. Die Kunst dabei besteht darin, seine Umgebung nicht nur aus einer Perspektive zu betrachten, sondern neue, spannende Blickwinkel zu entdecken. Dieser Artikel soll Ihnen bei dieser Aufgabe helfen.
Wenn Schriftstellern partout nichts mehr einfallen will, behelfen sie sich mit einem Trick: Sie setzen sich in ihrem Büro an irgendeiner Stelle auf den Boden. Und dann lassen sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Den Raum, von dem Sie dachten, dass sie ihn in- und auswendig kennen. Stattdessen wirkt er durch den neuen Blickwinkel völlig verändert. Man erkennt Details, die einem zuvor noch nie aufgefallen waren, sieht Stellen, die unbedingt renoviert werden sollten, und hat möglicherweise einen Blick ins Freie, der eine Sicht offenbart, die man noch nicht kannte.
Der Hintergrund dieses psychologischen Tricks ist offensichtlich: Man verlässt gewohnte Pfade, löst sich von seinem festgefahrenen Blick und betrachtet die Welt aus einer neuen Perspektive. So kann sich ein Schriftsteller wieder neuen Ideen öffnen und gibt seiner Geschichte eine spannende, völlig neue Richtung, die sich ihm vorher verschlossen hat. Vielleicht werden Sie sich fragen, was das Ganze mit Fotografie zu tun hat. Eine Menge! Auch hier kann ein Perspektivwechsel Wunder bewirken. Seine Perspektive zu verändern, hat als Fotograf aber natürlich nicht das Ziel, Schreibblockaden oder Fotografierblockaden zu lösen – wohl aber geht es auch hier darum, seine Umgebung neu zu entdecken – und mit diesen Fotos die Aufmerksamkeit anderer zu gewinnen.
Die „normale“ Perspektive
Um sich dem Thema Perspektive und deren Variation zu nähern, gilt es zunächst zu klären, welche Möglichkeiten man dazu als Fotograf überhaupt hat. Die Perspektive, mit der jeder Fotograf garantiert am meisten zu tun hat, ist die Normalperspektive. Dabei fotografiert man stehend mit dem Sucher oder dem Monitor vor dem Auge. Das Foto entspricht somit – die reduzierte Größe des Blickwinkels einmal ausgenommen – unserem natürlichen Eindruck der Umgebung. Wenn Sie sich einmal Ihre Fotodatenbank anschauen, werden Sie sicherlich feststellen, dass mindestens 90 Prozent der Aufnahmen in dieser Normalperspektive entstanden sind. Grundsätzlich ist gegen die Normalperspektive gar nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil: Für Porträts ist sie beispielsweise perfekt geeignet, weil durch das Fotografieren auf Augenhöhe ein angenehmer Blickwinkel entsteht. Die Normalperspektive hat nur einen Nachteil: Sie bedeutet Standard, wird von allen benutzt, überrascht den Betrachter nicht und schafft keine neue Atmosphäre. Wer fotografisch experimentieren will, sollte diese Perspektive zumindest gelegentlich verlassen.
Perspektiven variieren
Um die fotografische Perspektive zu ändern, hat man in der Regel nur begrenzt viele Möglichkeiten. Man bewegt sich zu einem anderen Punkt in der Umgebung, richtet die Linse in eine andere Richtung oder variiert die Aufnahmehöhe, indem man sich einen erhöhten Punkt sucht oder sich bäuchlings auf den Boden legt. Beginnen wir mit den Perspektiven, die keine dreckige Hose versprechen: mit denen, bei denen von oben nach unten fotografiert wird. Je nachdem wie hoch man dafür in die Luft geht, spricht man von der Top-down- bis hin zur Vogelperspektive. Was sich hinter der Vogelperspektive verbirgt, lässt sich leicht erklären. Damit bezeichnet man jede Perspektive, bei der schräg bis senkrecht nach unten geschaut beziehungsweise fotografiert wird. Typisch ist diese Perspektive für Aufnahmen; bei denen die Umgebung von einer erhöhten Position eingefangen werden soll. Interessant wird die Perspektive aus kreativer Sicht aber erst da, wo man sie normalerweise nicht einsetzen würde: zum Beispiel bei Porträts. Durch die Vogelperspektive erscheint das porträtierte Model verletzlich und klein – der Fotograf zeigt sich ihm gegenüber deutlich überlegen. Je nach Location und Model muss diese Bildaussage aber keineswegs negativ wirken. Ansonsten lässt sich die Vogelperspektive gut einsetzen, um dem Betrachter ein Gefühl von Kontrolle zu vermitteln: Die Welt liegt einem zu Füßen. Andere Personen scheinen dem Fotografen gegenüber klein zu sein, werden genauso wie Gegenstände gestaucht abgebildet. Sobald bei der Vogelperspektive Menschen ins Bild kommen, muss man mit der Bildwirkung sehr vorsichtig sein und von Fall zu Fall prüfen, ob die Bildaussage das gewünschte Ergebnis bringt.
Top-down und Vogelperspektive
Eine Form der Vogelperspektive wird in der Fotografie gerne auch als Top-down-Perspektive bezeichnet. Dieser Begriff ist manchen möglicherweise aus Videospielen bekannt, bei denen ein Auto oder ein Avatar gesteuert werden muss und der Spieler sein Alter Ego aus einer leicht schrägen Draufsicht betrachten und so übersichtlich führen kann. Ähnlich ist diese Perspektive, auch in der Fotografie angelegt. Man fotografiert von einer erhöhten Position mit einem Kameraschwenk nach unten. Um in der Tierwelt zu bleiben, könnte man hier von der Perspektive einer Giraffe sprechen, die unterschiedlich groß sein kann, im Gegensatz zu einem Vogel, der die Umgebung tatsächlich aus der Luft erfasst. Um Top-down zu realisieren, müssen groß gewachsene Fotografen gar nicht mehr tun, als die Kamera leicht nach unten zu schwenken. Wer kleiner geraten ist, braucht einen großen Felsblock oder – falls die Natur nichts hergibt – eine Leiter, Trittstufe oder Ähnliches. Ein leichtes Top-down ist für Porträts eine durchaus interessante Perspektive, da sie Unschuld und Friedfertigkeit ausdrückt. Je mehr der Fotograf jedoch von oben nach unten fotografiert, desto stärker wird der Eindruck von Unterwürfigkeit.
Die Froschperspektive
Nach „von oben nach unten“ kommen wir jetzt zu „von unten nach oben“. Hier gelten exakt die gegensätzlichen Regeln. In der Froschperspektive, wenn Sie also am Boden liegend fotografieren, erscheinen Sie winzig klein und die Welt riesengroß zu sein. Wenn Sie diese Perspektive für ein Porträt einsetzen, wirkt Ihr Model zwangsläufig bedrohlich. Logisch, wenn man sich den Größenunterschied eines Froschs zu einem Menschen vor Augen führt. Die Froschperspektive ist auch für Landschaftsaufnahmen sehr interessant, weil diese durch eine niedrige Aufnahmeposition das Bild weitläufiger erscheinen lässt als in der Normalperspektive. Zudem verändert sich das Verhältnis von Landschaft zu Himmel. Und genau dieses für den Betrachter ungewohnte Verhältnis lässt ihn bei einem solchen Foto innehalten, weil es seine Aufmerksamkeit erregt. Sobald man sich etwas vom Boden löst und – geringfügig bequemer – aus der Hocke fotografiert, erzielt man damit eine leichte Untersicht auf seine Umgebung. Porträts sollten Sie aus dieser Aufnahmeposition möglichst nicht machen, es sei denn, Sie wollen Ihr Model verärgern. Selbst schlanke Personen werden bei dieser Perspektive durch ein Doppelkinn und leicht gestreckte Proportionen verunstaltet. Gerne wird diese Perspektive in Comics eingesetzt, um den großen bösen Boss noch mächtiger und bedrohlicher wirken zu lassen, als er ohnehin schon ist. Für sämtliche andere Aufnahmen sollten Sie mit Frosch und Hocke aber unbedingt einmal experimentieren, denn diese Perspektiven verändern die Bildaussage völlig.
Ganz recht, „Die Kunst dabei besteht darin, seine Umgebung nicht nur aus einer Perspektive zu betrachten“.
Wenn man mal Ideen braucht lohnt sich ein Blick auf Instagram oder Pinterest, weil jeder ein wenig anders auf eine Situation/Person/Natur schaut. Inspiration pur!
Hallo Lina!
Der Begriff Perspektive wird völlig missverstanden. die Perspektive bezeichnet nichts anderes, als das Größenverhältnis zwischen Vorder- und Hintergrund (resp. den Dingen, die sich dort jeweils befinden). Sie hat also nichts!! mit dem Blickwinkel aufs Motiv – seitlich oder von hinten oder vorne – zu tun.
Beim Fotografieren legt man zuerst den Blick aufs Motiv fest, anschließend die Perspektive.
Gesteuert wird die Perspektive durch den Abstand zum Motiv, also dem kameranächsten Motivobjekt: Befindet sich das mehr oder weniger genau vor der Kamera, ist der Hintergrund klein / weit weg, geht man zurück, vergrößert sich der Hintergrund, d.h. die perspektivische = räumliche Wirkung des Bildes ist Sache des Standortes, und das gilt im Übrigen für jedes Objektiv!!
Was mir aber beim Lesen des Artikels aufgefallen ist:
(Froschperspektive) „Nach „von oben nach unten“ kommen wir jetzt zu „von unten nach oben. … In der Froschperspektive, wenn Sie also am Boden liegend fotografieren…“ – das widerspricht sich doch ?!
Wenn ich die Kamera vor einen Pilz, vor ihn auf den Boden platziere – ohne sie nach oben oder unten zu richten! – ist das Froschperspektive?