In der Lomografie ist es Usus, dass man mit der Kamera aus „der Hüfte schießt“, ohne vorher in den Sucher zu blicken. Ganz so experimentell geht es in diesem Artikel zwar nicht zu, aber die Hüftperspektive hat durchaus ihren Reiz.
Wenn man davon spricht, dass aus der Hüfte fotografiert, sind damit häufig Schnappschüsse gemeint, bei denen der Fotograf ganz bewusst auf die Motiv- und Perspektivkontrolle verzichtet, sondern einfach den Moment einfangen will: einen Schnappschuss. Solche Hüftschnappschüsse sind in den meisten Fällen alles andere als technisch sauber, die Schärfentiefe häufig eher zufällig gewählt. Dennoch haben viele dieser Aufnahmen einen ganz eigenen Reiz. Die Fotos wirken lebendig, frisch und zeigen Alltagssituationen aus einer neuen Perspektive. Eine Perspektive, die man als leidenschaftlicher Hobbyfotograf unbedingt für sich entdecken sollte.
Welche Vorteile bietet eine alternative Perspektive?
In diesem Artikel wollen wir Ihnen den Reiz der „Aus der Hüfte-Perspektive“ anhand von Beispielen vorstellen und Ihnen zeigen, welche kreativen Möglichkeiten dieser Blickwinkel Ihnen bietet. Dabei geht es allerdings weniger um Schnappschüsse aus der Hüfte, sondern um den gezielten Einsatz dieser Perspektive und eine bewusste Wahl des Bildausschnitts. Schließlich muss das aus der Hüfte fotografieren kein Synonym für verwackelter Schnappschuss sein. Wenn man sich die Perspektive einmal genauer vor Augen führt, fällt schnell auf, dass man sie auch ebenso gut als Kinderperspektive bezeichnen könnte. Die Welt mit den Augen eines Kindes entdecken, das seine Umgebung in der Höhe von etwa einem Meter erlebt. Da kann man sich vielleicht schon besser vorstellen, welche kreativen Möglichkeiten sich da auftun.
Wie verändert sich die Bildwirkung?
Um einmal zu testen, welche Wirkung die veränderte Perspektive hat, empfiehlt sich ein kleiner Selbsttest. Sobald Sie bei Ihrer nächsten Fototour ein interessantes Motiv ausgewählt haben und ein Foto aufgenommen haben, gehen Sie in die Hocke und richten Sie Ihr Objektiv immer noch auf dasselbe Ziel. Die Veränderungen des Bildausschnitts durch die neue Perspektive sind scheinbar gering, aber für die Bildwirkung bedeutend. Der Anteil, den der Boden am Gesamtbild einnimmt, steigt deutlich, dafür sinkt der Anteil des sichtbaren Himmels. Alles, was auf dem Bild zu sehen ist, scheint größer zu sein, als in der Normalperspektive, wenn aus einer Höhe rund um 1,70 Meter fotografiert wird. Diese veränderten Dimensionen machen viele Motive, die eigentlich wenig spannend wären, zu interessanten Fotos! Der große Vorteil der Hüftperspektive ist ein rein pragmatischer: Er lässt sich problemlos in der Praxis umsetzen. Anders als bei der Vogelperspektive, wo Sie entweder einen erhöhten Standort suchen, eine Teleskopstange einsetzen, oder tatsächlich selbst in die Luft müssen, genügt, bei der Hüftperspektive ein einfacher Gang in die Hocke. Auch das auf dem Boden kriechen müssen der Froschperspektive bleibt Ihnen erspart. Doch einfach umzusetzen ist natürlich noch nicht gleichbedeutend mit lohnenswert! Weshalb wir Ihnen im Folgenden einige Beispiele vorstellen möchten, welche Motive für die Hüftperspektive interessant sein könnten und welche Wirkung hierbei die Perspektive hat.
Wie wirkt die Hüftperspektive?
Als erstes wollen wir uns das Einstiegsbild dieses Artikels einmal genauer anschauen. Das Model wurde in einem heruntergekommenen Gebäude, einer ehemaligen Kurklinik aufgenommen. Hierbei handelt es sich natürlich nicht um eine Porträtaufnahme, die man als klassisch schön bezeichnen würde – im Gegenteil. Die Wände sind verdreckt und beschmiert, auf dem Boden liegt Unrat und das Model scheint sich ganz offensichtlich zu langweilen. Versuchen Sie sich jetzt einmal vor Ihrem geistigen Auge vorzustellen, wie das Bild aussehen würde, wenn es aus der Normalperspektive aufgenommen worden wäre. Das Model wäre von oben herab zu sehen, die Umgebung aussagelos. Durch die Hüftperspektive in Kombination mit dem verwendeten Weitwinkel wird die Aufnahme hingegen sehr ausdrucksstark. Das gesamte Bild ist optisch verzerrt, für den Bildbetrachter sind die Dimensionen des Raums so nur schwer zu fassen. Das Model scheint mit dem Kopf fast an die Decke zu stoßen, was aber bei genauerer Betrachtung gar nicht möglich sein kann. Durch die Veränderung zu unserem gewohnten Blickwinkel ist die ganze Szenerie für uns irgendwie merkwürdig. Das Bild erscheint somit nicht wirklich attraktiv und schön, aber spannend! Ein Beispiel, wie man die Hüftperspektive gekonnt einsetzt!
Kann man mit der Hüftperspektive manipulieren?
Ein ebenfalls interessantes Beispielbild zur Wirkung der Hüftperspektive stellt die Aufnahme der Holzbrücke dar, die Sie in dieser Kapitel sehen. Der Fotograf hat hier nicht nur die Höhe, sondern auch die Aufnahmeposition geschickt gewählt. Dir Brücke bildet deutlich sichtbar das Hauptmotiv der Aufnahme, wobei sie Richtung oberen Bildrand auf einen Fluchtpunkt zuläuft. Durch die gewählte Perspektive erscheint die Brücke deutlich größer und bedeutender zu sein, als wir sie in Wahrheit erleben würden. Die niedrige Kameraposition führt dazu, dass wir das Ende der Brücke nicht genau im Blick haben und somit das Betreten der Holzbohlen fast einem abenteuerlichen Wagnis gleichkäme. Auch hier gilt: In der Normalperspektive wäre die Aufnahme bei weitem nicht so ausdrucksstark.

In der Hüftperspektive wird sogar eine schmale Holzbrücke zum riesigen Konstrukt Foto: Cornerstone / pixelio.de
Wirken abgeschnittene Bilder nicht unprofessionell?
Die Hüfte taugt nicht nur als Perspektivhöhe, sondern auch als Motiv, wie unser Beispielbild in dieser Kapitel zeigt. Ein ungewöhnlicher Bildausschnitt für Aufnahmen, bei denen Menschen abgebildet werden sollen. Und trotzdem wirkt diese Aufnahme und zeigt damit, dass die Hüftperspektive auch dafür geeignet ist, sich Details als Motiv herauszusuchen, die man in der Normalperspektive wohl eher nicht in Betracht ziehen würde. Das Beispielbild zeigt sehr schön, dass solche Aufnahmen keineswegs wie ein misslungener Schnappschuss wirken, sondern einen ganz eigenen Charakter aufweisen. Detailaufnahmen von Personen sind dabei natürlich nur ein Beispiel dafür, was als Motiv hierfür in Frage kommen kann. In unserem Beispielbild sorgt natürlich auch noch der Hintergrund für die nötige Atmosphäre – und die darf man auch bei Detailaufnahmen natürlich nicht vergessen!

Ein ungewöhnlicher Bildausschnitt, der eine sehre atmosphärisches Wirkung erzielt Foto: Nils Holgerson / photocase.com
Einstiegsbild: JoeEsco / photocase.com